Stephan Pflicht:
Die Gerhard-Winkler-Chronik
I. Kinder- und Jugendjahre
1906
Als einziges Kind des Kunstschlossers Franz Winkler und dessen Ehefrau
Emma, geborene Geisler, wird Gerhard Winkler am 12. September in Rixdorf
bei Berlin, Münchner Straße 10 - ab 1912 Neukölln; jetzt
Berlin-Tempelhof, Flughafenstraße - geboren.
1912
Seine aus Schlesien stammenden Eltern pflegen die Hausmusik; beide verfügen
über schöne Gesangsstimmen, der Vater spielt außerdem
Zither. Sie fördern das sich früh zeigende musikalische Talent
ihres Sohnes und kaufen ihm ein Klavier. 1913
In der Volksschule, die Gerhard Winkler seit 1912 besucht, nimmt sich
ein Lehrer des musikliebenden Kindes über den Schulunterricht hinaus
besonders an, gibt ihm Privatstunden und spielt mit ihm auf der Hausorgel.
Nach einem selbstverfaßten Text schreibt Gerhard Winkler seine
erste Komposition: ein Lied für Zither mit dem Titel An
meinen Buchfink.
1916
Beim Kindergottesdienst fällt dem Gemeindepfarrer die schöne
Sopranstimme des Jungen auf, und so wird Gerhard Winkler Mitglied des
Chors der Neuköllner Christuskirche. Nach einem Vorsingen aus eigener
Initiative wird Gerhard Winkler in den von Professor Hugo Rüdel geleiteten
Berliner Hof- und Domchor aufgenommen.
1918
Der Berliner Hof- und Domchor unternimmt zu Beginn des Jahres eine Konzertreise
in die Schweiz. Gerhard Winkler gehört zu den für die Tournee
ausgewählten Chorsängern.
1919
In den ersten Nachkriegsjahren singt Gerhard Winkler im Kinderchor des
Berliner Opernhauses »Unter den Linden« und wirkt u. a. in
den Opern »Carmen«, »Der Wildschütz«, »Königskinder«
und »Der Evangelimann« mit. Hier wird der Grund für seine
lebenslange Liebe zur Oper gelegt und zugleich sein Berufswunsch geweckt,
Sänger zu werden.
1920-21
Am 22. September 1920 wird Gerhard Winkler in der Berliner Dreifaltigkeitskirche
konfirmiert. Der Stimmbruch beendet seine chorsängerische Tätigkeit,
und die Eltern drängen auf Erlernen eines soliden Berufes. Im Hinblick
auf seine musikalischen Interessen soll er zunächst zu einem Klavierbauer
und Instrumentenhändler in die Lehre gehen. Bei einem Besuch in
der Firma sieht der Vater die große körperliche Anstrengung
des Klaviertransportes. Da er dies seinem Sohn nicht zumuten will, entschließt
man sich zu einer Lehre im Musikalienhandel. Gerhard Winkler
beginnt seine Ausbildung bei dem Berliner Musikverleger Richard Birnbach
und wechselt nach einigen Monaten zu dem Berliner Großsortiment
und Musikverlag Robert Rühle, wo er vom 1. Oktober 1920 bis zum
30. September 1922 als Lehrling beschäftigt ist. 1922 Ab
1. Oktober arbeitet Gerhard Winkler halbtags als Gehilfe bei seinem
Lehrherrn, der ihm mit dieser Regelung die Möglichkeit gibt, nachmittags
einem privaten Musikstudium nachzugehen. Er besucht nun regelmäßig
das Englersche Konservatorium in der Zossener Straße 55 und studiert
bei Professor Richard Engler Klavier und Violine sowie bei Professor
Friedrich Hoyer Musiktheorie und Komposition. 1923
Bei einem Schülerkonzert des Konservatoriums am 14. April in der
Aula des Askanischen Gymnasiums in Berlin wird u. a. die kammermusikalische
Suite Im Maien
mit den Sätzen Springendes
Bächlein, Blütenduft
und Abschied
gespielt; das ist die erste öffentliche Aufführung einer Komposition
von Gerhard Winkler. Am 31. August scheidet
Gerhard Winkler aus dem Berliner Großsortiment und Musikverlag
Robert Rühle aus und widmet sich nun ausschließlich seinem
Musikstudium am Englerschen Konservatorium. Seine Versuche,
sich mit Chor- und Klavierwerken als Komponist durchzusetzen, bleiben
ohne Erfolg, und so wendet sich Gerhard Winkler der Tanz- und Unterhaltungsmusik
zu. 1924-30
Diese Lebensspanne bezeichnet Gerhard Winkler selbst als seine musikalischen
Gesellen- und Wanderjahre. Er sucht Bewährung in der Praxis und
nimmt jede Gelegenheit wahr, zunächst in Berliner Lokalen sowie
bei privaten Gesellschaften zu musizieren und dabei pianistische Erfahrungen
zu sammeln. So beschäftigt er sich auch mit der von dem Komponisten
und Orchesterleiter Giuseppe Becce herausgegebenen »Kinothek«,
einer Motivsammlung zur musikalischen Untermalung von Stummfilmen, und
verwendet diese Kenntnisse als Pianist in Stummfilmkinos.
Gerhard Winkler
arbeitet dann als Pianist und Dirigent in Kurorchestern, Tanzkapellen,
Caféhaus- und Bar-Ensembles, so u. a. im Kurorchester des Ostseebades
Binz auf Rügen und bald darauf mit eigener Kapelle im Weinhaus
Traube und in der Arcadia-Bar in Essen. Hier
lernt er die damals berühmten Tanz- und Show-Orchester Hans Bund
und Bernhard Etté kennen und schreibt für sie Arrangements
seiner nicht im Druck erschienenen Tanzkomposition Trance-Blues.
In
Essen ersteht der achtzehnjährige Gerhard Winkler sein erstes Motorrad,
eine 350-ccm-Maschine, über die er in seinen autobiographischen Skizzen
voller Stolz berichtet.
Es folgen Engagements
u. a. auf der Insel Norderney, in Mannheim, Elberfeld, Wiesbaden und
Mainz. Als im nahe gelegenen Frankfurt am Main das Orchester Julian
Fuhs gastiert, reist Gerhard Winkler eigens dorthin, um den sogenannten
jazzsymphonischen Stil dieses Orchesters kennenzulernen.
Als erste Druckausgaben
der Werke von Gerhard Winkler erscheinen 1930 im Mainzer Musikverlag
F. Marxen die Walzerlieder In
meinem Herzen klingt ein kleines Lied und Heut
ist uns alles ganz egal.
1931
Nachdem sich schon 1930 eine Verbindung zu dem Berliner Musikverleger
Ernst Wengraf ergeben hat, für dessen Monopol-Liederverlag er sowohl
einige Orchesterarrangements als auch eigene Kompositionen schreibt,
geht Gerhard Winkler wieder nach Berlin zurück. Hier hat er den
ersten größeren Erfolg mit dem Studentenlieder-Potpourri
im Dreivierteltakt Es
zogen drei Burschen, das ebenso wie sein Foxtrott Ein
Glas voll mit Wein beim Monopol-Liederverlag im Druck erscheint.
Außerdem wirkt
Gerhard Winkler als Leiter einer eigenen Tanzkapelle sowie als Kabarett-Pianist
und Liedbegleiter, wobei er u. a. mit Otto Reutter, Claire Waldorff,
Martha Hühner und Hedda Herrnfeld auftritt.
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